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Am Klettnerhof in Finkenberg beginnt der Tag noch vor dem Sonnenaufgang. Zwischen halb fünf und fünf geht es für Bianca und ihren Mann Stefan als erstes in den Stall. Zu den sieben Heumilchkühen, zwei Stück Jungvieh und vier Kälbern, den Ziegen und Hennen. Alles wird gereinigt und ausgekehrt, die Tiere gefüttert und gemolken. Kurz nach sechs bereiten sich Andreas und sein Bruder Maximilian auf die Volksschule vor, Bianca richtet die Jause für die Buben und ihren Mann. Stefan arbeitet hauptberuflich als LKW- und Lastenfahrer und kommt erst abends wieder nach Hause. Da kein Schulbus zur Verfügung steht, bringt Bianca die Buben selbst zur Schule. Manchmal nimmt sie auch der Opa mit, der für den angeschlossenen Gasthof Brunnhaus frische Semmeln holt.
Zwischen Gasthaus und Heumilchbauernhof
Dort hilft Bianca kurz nach sieben bereits ihrer Schwiegermutter dabei, das Frühstück für die Gäste vorzubereiten. Spätestens um zehn geht es aber für eine kurze Kontrolle zurück in den Stall: „Ich gehe zu den Ziegen, kehre bei den Hennen und achte darauf, dass alles sauber ist. Dann schaue ich zu den Heumilchkühen und Kälbern, um sicher zu sein, dass alle wohlauf sind und ausreichend frisches Wasser zur Verfügung steht“, zählt Bianca die Punkte auf ihrer Tierwohl-Checkliste auf. Alle paar Stunden sieht sie bei Kuh & Co nach dem rechten. Wenn Andreas und Maximilian aus der Schule zurück sind, unterstützen sie ihre Mama oft bei den Arbeiten. Das Mittagessen gibt es meist im Gasthof – auch, um wertvolle Zeit zu sparen. „Wir helfen einfach zusammen, damit alles gut funktioniert“, fasst Bianca das Erfolgsrezept ihres Familienbetriebes zusammen. Das Gasthaus der Schwiegereltern bietet neben Frühstück und Abendessen für die Hausgäste abends ein á-la-Carte-Menü, am Wochenende kommt noch das Mittagsgeschäft hinzu. Bei alledem haben die Tiere aber Priorität, betont Bianca: „Auch wenn wir unseren Heumilchbauernhof im Nebenerwerb betreiben, schlägt unser Herz für die Landwirtschaft. Die Ziegen zum Beispiel sind mein Hobby, meine Leidenschaft.“
Heumilch-Spezialitäten aus dem Hofladen
Aus der frischen Ziegen-Heumilch stellt Bianca im Sommer Käse her, den sie in ihrem eigenen Hofladen verkauft. „Als der Gasthof während der Corona-Lockdowns geschlossen blieb, suchte ich nach einem Projekt, dass ich in der freien Zeit umsetzen kann“, erinnert sich die Heumilchbäuerin. So kam ihr die Idee zum eigenen Laden, in dem sie neben den Heumilch-Ziegenkäsen selbstgemachte Salze, Löwenzahnhonig, Eier, Kaminwurzen und vieles mehr verkauft. Ihre neueste Idee kommt bei den Gästen besonders gut an: „Ich habe Fotos der Ziegenbabys und unserer Heumilchkuh Emma – Gewinnerin des Wettbewerbs ‚Austrias next urgute Heumilchkuh‘– auf Kaffeebecher drucken lassen. Unsere Gäste nehmen die Tassen gerne mit nach Hause, da sie die Tiere persönlich kennen. Das ist eine schöne Erinnerung an ihre Zeit im Zillertal,“ freut sich Bianca.
Klein und Groß helfen zusammen
Wenn es Abend wird am Fuße des Grünbergs, ist der neunjährige Andreas schon im Stall. Er bereitet alles vor, damit Papa Stefan melken kann, wenn er von der Arbeit nach Hause kommt. Momentan beobachtet der fleißige Bub vor allem die Ziegen ganz genau, wartet er doch gespannt auf den Nachwuchs, der sich jeden Tag einstellen könnte. Seine eigene kleine „Herde“ ist seit unserem letzten Besuch am Klettnerhof gewachsen: Ziege Alexa ist mittlerweile Mama von Gretel, die selbst ein Ziegenbaby erwartet. Das bedeutet natürlich mehr Arbeit für Andreas – aber auch mehr Heumilch, für die er ein Taschengeld erhält. Bruder Maximilian sieht das ganz sportlich, interessiert er sich doch eher für den Gastbetrieb und Fußball. „Natürlich sind wir froh, dass die Buben jetzt schon so großes Interesse an unserer Arbeit in der Landwirtschaft und im Gasthof zeigen“, sagt Bianca. Wobei „Arbeit“ vielleicht das falsche Wort ist, wenn man der Heumilchbäuerin zuhört. „Für mich ist die Landwirtschaft ein schöner Ausgleich. Ich freue mich, wenn ich nach dem Trubel in Gasthaus am Abend als Ausklang zu den Ziegen gehen kann. Andere fahren vielleicht gerne auf Urlaub, gehen Kaffee trinken oder shoppen – wir haben unseren Stall“, lacht die Heumilchbäuerin.
Kleine Betriebe mit großer Wirkung
So wie Bianca und ihre Familie arbeiten viele Heumilchbäuerinnen und Bauern in den Berggebieten Österreichs, Deutschlands und der Schweiz. Aufgrund der steilen Hänge bewirtschaften die meisten von ihnen nur wenig Fläche und halten durchschnittlich 17 Heumilchkühe. Am Klettnerhof sind die Weiden und Wiesen, die in der warmen Jahreszeit bewirtschaftet werden, etwa so groß wie sechs Fußballfelder. Während die Heumilchkühe ihre Sommer auf der Alm eines Freundes verbringen, kümmern sich Bianca und Stefan um die Heuernte. Im steilen Gelände kommt Stefan seine Erfahrung als LKW- und Baggerfahrer zugute. „Ich bin eher mit dem Rechen unterwegs“, schmunzelt Bianca. Eine anstrengende Arbeit, die nicht nur das schmackhafte Winterfutter für die Heumilchkühe sicherstellt: Die Landschaft wird auf natürliche Weise gepflegt und der Weiterbestand vieler seltener Pflanzenarten ermöglicht. Und es wird verhindert, dass sich der Wald willkürlich auf Wiesen und Weiden ausbreitet. So stellen Bianca und Stefan und viele weitere Heumilchbäuerinnen und Bauern sicher, dass die wertvolle Kulturlandschaft im Alpenraum erhalten bleibt – für Alexander und Maximilian und die kommenden Generationen, die die nachhaltige und ressourcenschonende Heumilchwirtschaft vielleicht eines Tages weiterführen werden.